„Informationsportal Neutrale Schule“ – rechtliche Gesichtspunkte

in: R&B 4/2018, S. 3 ff., https://institut-ifbb.de/wp-content/uploads/2018/12/RuB_04-18-Internet.pdf

Die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) sieht sich als Opfer undifferenzierter Berichterstattung und einseitiger Parteinahme. So weit, so wenig neu. Im Oktober 2018 hat aber darüber hinaus die AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Online-Plattform eingerichtet, über die entsprechendes (vermeintliches) Fehlverhalten von Lehrerinnen und Lehrern gemeldet werden kann. Seither sind weitere AfD-Fraktionen der Landesparlamente gefolgt und haben ähnliche Instrumentarien bereitgestellt.1 Aufhänger des Hamburger Originals ist ein sogenanntes „Informationsportal Neutrale Schule“ im Rahmen der von der Fraktion ins Leben gerufenen „Aktion Neutrale Schule“ über das „Tipps zum Vorgehen bei Verstößen gegen das Neutralitätsgebot“ abgerufen werden können. Dort heißt es:

„Mutmaßliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot können uns vertraulich über das folgende Kontaktformular oder über eine Nachricht an die unten angegebene E-Mail-Adresse berichtet werden. Die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten haben dabei höchste Priorität. Es werden keine Namen oder andere schutzbedürftige Angaben veröffentlicht. Sollte ein begründeter Anfangsverdacht auf einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot oder eine andere diesbezügliche Rechtsvorschrift vorliegen, bieten wir an, den Vorgang unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte an die Schulbehörde zur Überprüfung weiterzuleiten.“ (Hervorhebungen im Original).

Bereits die ersten Spontanreaktionen in den Medien haben gezeigt, dass es breiten, grundsätzlichen Widerspruch gegenüber diesem Vorgehen der AfD gibt. Es wurde vielfach angemerkt, dass nunmehr Denunziation und Einschüchterung der Lehrkräfte zu befürchten seien und so eine kritische Auseinandersetzung mit der AfD und den von ihr vertretenen Politikansätzen eingeschränkt werden solle.

Dem kann zwar zum einen entgegengehalten werden, dass die AfD hier gegebenenfalls ein Eigentor geschossen habe, weil sie mit der Offenbarung des bei ihr herrschenden intellektuellen Niveaus die Steilvorlage zu satirischen Bezugnahmen geliefert hat – unter anderem soll in Hamburg eine Schwemme nicht ernstgemeinter Beschwerden eingegangen sein, die gegebenenfalls Zeit und Kraft der AfD bindet. Andererseits ist aber zu konstatieren, dass sich die Meldeplattform in die im Übrigen von der AfD (bewusst oder unbewusst) verfolgte Strategie der Grenzüberschreitungen und -verwischungen zwischen Demokratie und Diktatur einfügt. Die Erinnerung an die staatlich gesteuerten Gleichschaltungsbestrebungen in der NS-Zeit ist wohl nur auf den ersten Blick unwillkürlich. Es dürfte darüber hinaus auch nicht spurlos an Lehrerinnen und Lehrern vorbeigehen, unter dem Damoklesschwert permanenter anonymer Denunziation unterrichten zu müssen. Es ist zu befürchten, dass die Schere der Zensur in den Köpfen der Lehrkräfte zu arbeiten beginnt.

Entsprechend beschreiben es Lehrerinnen und Lehrer als Herausforderung, sich nunmehr intensiver mit den rechtlichen Rahmenbedingungen der inhaltlichen Gestaltung ihres Unterrichts auseinanderzusetzen.2 Dazu fallen zunächst drei Gesichtspunkte ins Auge

1. Schutz der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Lehrerinnen und Lehrer

Die Meldung von (vermeintlichen) dienstrechtlichen Verstößen ist nur dann sinnvoll, wenn die betroffene Lehrkraft, die entsprechende Schule sowie die Art des Verstoßes genau bezeichnet werden. Das von der AfD im Zweifelsfall angestrebte Vorgehen der Aufsichtsbehörde ist nämlich nur möglich, wenn dieser bekannt ist, gegen wen sie vorgehen soll.

Dies bedeutet, dass bei der AfD personenbezogene Daten im Sinn von Art. 2 Abs. 1 DSGVO gesammelt, gespeichert und weitergegeben – also im Sinn der DSGVO verarbeitet – werden. Die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten ist durch Art. 6 Abs. 1 DSGVO stark eingeschränkt. Da eine Einwilligung hier regelmäßig ausscheiden dürfte, kommt nur in Betracht, dass die AfD geltend macht, im öffentlichen Interesse zu handeln (Art. 6 Abs. 1 e) DSGVO) oder berechtigte Interessen Dritter wahrzunehmen (Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO). Beide Varianten setzen aber voraus, dass die Datenverarbeitung erforderlich ist.3

Die Erforderlichkeit dürfte vorliegend bereits deshalb regelmäßig nicht gegeben sein, weil es eine Schulaufsichtsbehörde gibt, die zum einen das öffentliche Interesse wahrnimmt, zum anderen die Interessen der beteiligten Dritten (hier der Schüler) schützt. Sieht sich also ein Schüler durch einseitige Gestaltung des Unterrichtes unzulässig beeinträchtigt, kann er (oder die Sorgeberechtigten) sich an die Schulaufsichtsbehörden wenden. Verweigern diese ein Einschreiten, ist jedenfalls gemäß Art. 19 Abs. 4 GG der (Verwaltungs-)Rechtsweg eröffnet.4

Betroffene Lehrerinnen und Lehrer haben gemäß Art 15 Abs. 1 Satz 1 DSGVO das Recht, Auskunft zu verlangen, ob über sie Daten erhoben werden. Da hier grundsätzlich alle Lehrerinnen und Lehrer in Betracht kommen, könnte auch jedem und jeder Einzelnen ein entsprechendes Auskunftsrecht zustehen. Da die AfD – zumindest auf der Hamburger Plattform – nicht nach vermeintlichen Verstößen an staatlichen und Schulen in freier Trägerschaft differenziert (dazu unten 3.), könnten auch die Lehrkräfte privater Träger zur Auskunft und darüber hinaus gegebenenfalls zu Schadenersatz berechtigt sein.

2. Neben-Schulaufsicht

Es gehört zu den rechtsstaatlichen Grundvoraussetzungen, dass das Verwaltungshandeln Recht und Gesetz zu folgen hat und dies gerichtlich kontrolliert werden kann. Den Parlamenten kommt dabei eine Überwachungsfunktion zu, an der auch die Fraktionen mitwirken. Insofern ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn sich eine Fraktion über entsprechende Missstände informieren möchte – auch nicht, wenn es sich um eine Fraktion der AfD handelt.

Allerdings ist es ein Unterschied, ob sie sich dabei auf tatsächlich vorhandene und in relevanter Art und Weise (zum Beispiel in den Medien, aufgrund von belastbaren Erhebungen etc.) festgestellte Missstände bezieht, oder ob sie überhaupt keine überprüfbaren Fakten benennt, an die sie anknüpft.

Bereits im Bundestagswahlkampf 2017 mussten sich Medienvertreter mit dem – wohl kontrafaktischen – Vorwurf auseinandersetzen, dass die AfD und ihre Positionen unterrepräsentiert seien.5 Dieser Vorwurf scheint nun auf die Schulen ausgeweitet zu werden, in denen offensichtlich eine relevante und meinungsbildende Menge unsachlich AfD-kritischer Lehrerinnen und Lehrer vermutet oder eben bloß behauptet wird.6 Bemerkenswert ist dabei die durch die Namensgebung transportierte Grundannahme der AfD, dass die rechtsstaatlich notwendige Kontrolle der Schulen erst durch sie verwirklicht wird: „Aktion neutrale Schule“ beinhaltet, dass erst das Handeln der AfD (Aktion) notwendig ist, um verfassungsmäßige Zustände herbeizuführen. Da gleichzeitig eine faktische und belastbare Kritik der bestehenden Rechtspraxis fehlt, lässt sich dies nur als Versuch der Unterminierung bestehender demokratischer und rechtsstaatlicher Einrichtungen verstehen, die im Sinn dieser Partei zu ersetzen sind, indem mit der Meldeplattform eine informelle Neben-Schulaufsicht etabliert wird. In der inzwischen aufgekommenen Debatte wird dieser Gesichtspunkt auch auf die inhaltliche Seite des Schulverhältnisses angewendet und daraus abgeleitet, dass Meldeportale mit tragenden Grundsätzen des Schulrechts nicht vereinbar sind:

„Öffentliche „Meldungen“ an Dritte – ob man sie nun als „Denunziation“ oder „Anprangerung“ bezeichnen mag – sind mit den schulrechtlichen Grundregeln der gegenseitigen Rücksichtnahme und Achtung nicht vereinbar. Sie verhindern oder zerstören das für einen gedeihlichen Unterricht notwendige Mindestmaß an Vertrauen, versperren den Raum des gemeinsamen Lehrens, Lernens und Diskutierens und säen Misstrauen, Angst und Vorsicht. Sie ruinieren den Schul- und Klassenfrieden. Zudem wird die Qualität des Unterrichts leiden.7

Dennoch erscheint ein rechtliches Vorgehen gegen Meldeportale außerhalb zivilrechtlicher Ansprüche einzelner Betroffener schwierig. Mit der vorstehend aufgeführten Argumentation lässt sich aber begründen, dass die Funktionsfähigkeit der Schulen eingeschränkt wird. Dies wäre mit dem allgemeinen Ordnungsrecht zu sanktionieren.8

3. Neutralitätsgebot

Zur inhaltlichen Begründung ihrer Intervention bezieht sich die AfD auf die verfassungsrechtlich begründete Neutralitätspflicht des Staates. Diese beinhaltet, dass sich die Staatsorgane weltanschaulich und politisch neutral zu verhalten haben, insbesondere nicht für eine politische Partei Werbung machen dürfen. Für Staatsorgane – und damit beamtete Lehrerinnen und Lehrer – ist dies anerkannt.9

a) Die AfD differenziert hier allerdings nicht zwischen verbeamteten und angestellten Lehrerinnen und Lehrern, insbesondere an Schulen in freier Trägerschaft. Für diese kann die Neutralitätspflicht bereits schon deshalb nicht gelten, weil sie keine Staatsorgane sind.10 Zudem garantiert das Grundgesetz in Art. 7 Abs. 4 den Bestand von (privat getragenen) Weltanschauungsschulen, was inhaltlich ins Leere liefe, wenn auch dort die Neutralitätsverpflichtung gälte.11 Auch Lehrerinnen und Lehrer von Schulen in freier Trägerschaft werden von der AfD aber adressiert, zuletzt in einem Schreiben der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag an alle Schulleitungen, auch die in freier Trägerschaft.12 Dies offenbart Unkenntnis über die Reichweite des Neutralitätsgebotes – oder lässt sich als Einschüchterungsversuch bewerten.

b) Weiterhin ist zu konstatieren, dass das Neutralitätsgebot, das seinerseits nicht ausdrücklich im Grundgesetz verankert ist, jedenfalls auf den grundlegenden Wertungen der Verfassung aufbaut. Insofern Positionen – auch wenn sie von Parteien vertreten werden – diesen Wertungen widersprechen, stellt eine entsprechend ablehnen- de Bewertung durch Lehrkräfte wohl keine Verletzung des Neutralitätsgebotes dar.

c) Zwar wird die Geltung der Grundrechte für (verbeamtete) Lehrerinnen und Lehrer teilweise verneint und damit auch die Möglichkeit, sich auf die Meinungsfreiheit zu berufen. Dennoch soll die Tätigkeit der Lehrkräfte insoweit grundrechtlich geschützt sein, als dass entsprechendes Verhalten (hier die politische Positionierung) nur dann unterbunden werden kann, wenn die Lehrkraft in Grundrechte der Schülerinnen und Schüler eingreift oder den Schulfrieden nachhaltig stört.13 Der entsprechende Schutz dürfte wohl jedenfalls dann gewährleistet sein, wenn die Grundsätze des sogenannten Beutelsbacher Konsenses eingehalten werden, d.h. keine Indoktrination („Überwältigung“) stattfindet, in Wissenschaft und Politik kontrovers diskutierte Standpunkte auch kontrovers im Unterricht thematisiert werden und die Urteilsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler angeregt wird („Schülerzentrierung“).14 Der Beutelsbacher Konsens stellt kein bindendes Recht dar, gibt aber eine (teilweise kontrovers diskutierte) inhaltlich-pädagogische Orientierung über das zu Grunde liegende Problem, das durch das Spannungsfeld zwischen Bildungszielen der Schulgesetze und politischer Neutralität der Lehrkräfte aufgetan ist:

Das Hamburgische Schulgesetz (hier exemplarisch) formuliert als Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule in § 2 Abs. 1 unter anderem die Befähigung an einer demokratischen Gesellschaft mitzuwirken. Dem gegenüber wird darauf hingewiesen, dass „die Lehrkräfte ihre Erziehungsaufgabe in erster Linie durch ihr eigenes vorbildhaftes Verhalten erfüllen“.15 Somit würde gelten, dass Demokratie durch demokratische Erfahrung im Verhalten des Lehrers gelernt wird. Demokratie kann aber auf Standpunkte nicht verzichten, sondern beschreibt das Verhältnis unterschiedlicher Standpunkte, weshalb es den Lehrkräften nicht nur nicht versagt sein darf, eigene Standpunkte zu beziehen, sondern dies ist in Erfüllung ihrer Dienstpflicht sogar zu fordern, um die Erziehungsziele zu erreichen.

d) Darüber hinaus ist (wohl) anerkannt, dass den Lehrkräften in Ausübung ihrer Tätigkeit ein weisungsfreier Raum der „pädagogischen Freiheit“ verbleiben muss, wobei Grenzen und Umfang unklar sind.

e) Die dargestellten Schwierigkeiten in der Handhabung des Neutralitätsgebotes in der Tätigkeit von Lehrkräften weisen darauf hin, dass diese ein besonders sensibel zu handhabendes Problem auch der Schulaufsicht darstellen. Daraus lässt sich die Vermutung ableiten, dass eine unsachgemäße Einflussnahme schwerwiegend in die von Verfassung und Gesetzgebung gewollten Freiheits- und Gestaltungsspielräume eingreift. Dies sollte Anlass sein, das Betreiben der Meldeplattformen der AfD-Fraktionen nachdrücklich auch im Hinblick auf die rechtliche Zulässigkeit zu überprüfen.

Anmerkungen

1 Ähnliche „Aktionen“ werden auch in weiteren Bundesländern in ähnlicher Form geführt.

2 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-11/neutralitaetsgebot-schulen-afd-lehrerinnen-lehrer-melde-portal-verunsichert-gelassen.

3 Teilweise scheint die AfD dem Vorwurf datenschutzrechtlicher Verstöße damit zu begegnen, dass die Daten nach Bearbeitung gelöscht würden. Dies schafft den Verstoß aber nicht aus der Welt, da es hierfür nicht auf die Dauer der unberechtigten Speicherung ankommt.

4 Unabhängig von den verwaltungsrechtlichen Feinheiten ist es gesondert zu würdigen, dass die AfD sich hier entweder überhaupt nicht um den Datenschutz kümmert oder sich zum selbsternannten Sachwalter öffentlicher Interessen aufschwingt.

5 Statt vieler: https://www.wiwo.de/politik/deutschland/afd-drohung-gegen-ard-zdf-wuensche-viel-spass-beim-geld-verbrennen/20062226.html, faktenorientiert weiterführend dazu z.B.: https://uebermedien.de/19195/afd-auf-dauersendung.

6 Dies greift Argumentationen auf, die bereits im Adenauer- und Radikalenerlass Niederschlag gefunden haben mit beiden geriet jeweils die als besonders kommunismusanfällig gemutmaßte Lehrerschaft in den Fokus.

7 LINDNER, JOSEF FRANZ: Lehrermeldeportale darf der Staat nicht akzeptieren, VerfBlog, 2018/10/12, https://verfassungs-blog.de/lehrermeldeportale-darf-der-staat-nicht-akzeptieren/, DOI: https://doi.org/ 10. 17176/20181012-131229-0

8 In diesem Sinn wohl auch LINDNER , a.a.O.

9 So auch BVerfG, Beschluss vom 07.11.2015 – 1 BvQ 39/15: Die Bundesbildungsministerin WANKA hatte die „rote Karte“ für die AfD gefordert – dies wurde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren beanstandet.

10 Ob dadurch ein (weiteres) Argument für die Begründung eines verfassungsrechtlichen Gebots zur Verbeamtung von Lehrerinnen und Lehrern gegeben ist, steht auf einem anderen Blatt (vgl. C REMER , https://vbe-nrw.de/downloads/PDF%20Dokumente/DA9_Beamtenstatus.pdf ).

11 Die Verfassung setzt darüber hinaus in Durchbrechen des Neutralitätsgebots sogar staatliche Bekenntnisschulen voraus (Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG).

12 Anschreiben der AfD-Fraktion vom 26.10.2018 mitunterzeichnet (ausgerechnet) vom Co-Vorsitzenden BJÖRNHÖCKE. Es wirft Fragen auf, dass die Fraktion hier Neutralität erkennbar – wenn auch nicht explizit – zugunsten einer bestimmten Partei einfordert. Dies könnte seinerseits die Neutralitätspflicht der Fraktion verletzen.

13 R UX/NIEHUES , Schulrecht, 5. Aufl., Rdnr. 1106 unter Bezugnahme auf BVerfG 84, 292.

14 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung unter www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens.

15 RUX /NIEHUES , a.a.O., Rdnr. 670.


Von Martin Malcherek